(ip/RVR) Über die Aufklärungspflicht des Mieters über außergewöhnliche Umstände bei Abschluss eines Gewerberaummietvertrages hatte der Bundesgerichtshof kürzlich zu entscheiden.

Der Beklagte mietete von C. Immobilien (Vermieter) ein Geschäft in einem von Friedensreich Hundertwasser entworfenen Geschäftshauses. Bei Vertragsschluss gab der Beklagte an Textilien und Waren des Outdoorbereichs veräußern zu wollen. Als die Klägerin von dem beabsichtigten Warenverkauf der Marke "Thor Steinar" Kenntnis erlangte, war sie bestrebt den Beklagten zu einem Verzicht auf die Ladeneröffnung bzw. des Vertriebs der Marke zu bewegen. Am Tag der Ladeneröffnung, 27.07.2007, kündigte die Vermieterin aus wichtigem Grund das Mietverhältnis und erklärte die Anfechtung des Vertrages aufgrund arglistiger Täuschung am 02.08.2007. Die Klägerin verlangt aufgrund abgetretener Rechte die Räumung und Herausgabe des Ladengeschäfts.
Das Landgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie begehrt, die Klageabweisung.

Der BGH wies die Revision der Beklagten zurück. Der Klägerin steht der Räumungs- und Herausgabeanspruch aus abgetretenem Recht zu. Die Anfechtung des Vertrages nach § 123 Abs. 1, 124 BGB aufgrund arglistiger Täuschung, führte dazu, dass der Vertrag "von Anfang an nichtig anzusehen" ist. Demnach steht der Beklagten kein Recht zum Besitz zu.

Der Senat bestätigt das Berufungsgericht, dahingehend das infolge der Nichtaufklärung vor Vertragsschluss über den beabsichtigten Vertrieb der Marke "Thor Steinar", die Beklagte die Vermieterin arglistig täuschte. "Zwar besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten." Allerdings ist nach der BGH Rechtsprechung, "grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen." Jedoch besteht weiter nach gängiger Rechtssprechung eine "Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Reu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschuung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind". Hier wird insbesondere, dann davon ausgegangen, wenn Tatsachen den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können. Dies kann auch dann erfüllt sein, wenn dem Vertragspartner erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt wird. Hierüber kann der Vertragspartner redlichweise nur eine Aufklärung verlangen, "wenn er im Rahmen seiner Eigenverantwortung nicht gehalten ist, sich selbst über diese Tatsache zu informieren."

So bestätigt der BGH das Berufungsgericht, dass im zu entscheidenden Fall aufgrund der besonderen Umstände eine Aufklärungspflicht des Beklagten bestand. Die Marke "Thor Steinar" wird in der Öffentlichkeit ausschließlich mit der rechtsradikalen Szene verbunden. Der Vertrieb der Marke, könnte dazu führen, "dass das Hundertwasserhaus in den Ruf gerät, Anziehungsort für rechtsradikale Käuferschichten zu sein" und wo gegebenenfalls infolge Demonstration mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zu rechnen ist.
In den Gründen führt der Senat weiter aus, dass die "das gesamte Anwesen treffende mögliche rufschädigende Wirkung geeignet ist, Kunden und Touristen fernzuhalten und damit andere Mieter im Anwesen zu einer Minderung oder Beendigung des Mietvertrages zu veranlassen und potenzielle Mieter von dem" Mietvertragsabschluss abhalten. So kann dem Vermieter der Vertrieb der Marke "Thor Steinar" erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen und auch diesen "in der öffentlichen Meinung in die Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut" stellen und hierdurch geschäftsschädigend auswirken. So ist für den Vermieter die Veräußerung der Waren der Marke "Thor Steinar" von erheblicher Bedeutung.
Die Aufklärung durfte sie redlichweise erwarten, da ohne den Markenhinweis, dies für die Klägerin nicht erkennbar war. Mit dieser außergewöhnlichen Tatsache musste sie nicht rechnen. So befand sich die Vermieterin im Irrtum betreffend den beabsichtigten Warenverkauf, für deren Entschluss den Vertrag abzuschließen von erheblichem Gewicht war.

Der Senat führt aus, dass der Beklagte "nach Treu und Glauben und den Grundsätzen eines redlichen Geschäftsverhaltens verpflichtet" war, "die Vermieterin über den beabsichtigten Verkauf von nahezu ausschließlich Waren der Marke "Thor Steinar" zu informieren."

Weiter bestätigt der BGH das Berufungsgericht, dass die subjektiven Voraussetzungen der arglistigen Täuschung durch unterlassene Aufklärung erfüllt sind. Denn Der Beklagte hatte Kenntnis, dass die Marke "Thor Steinar" in der öffentlichen Meinung in die rechtsradikale Szene eingeordnet wird und ein Fußballstadiumsverbot für das Tragen von Kleidung dieser Marke bestand. Dem Beklagten war klar, dass die Veräußerung der Waren dieser Marke, geeignet war, erhebliche wirtschaftliche Schäden beim Vermieter zu verursachen. Er nahm billigend in Kauf, dass die Vermieterin in Kenntnis dieses Umstandes den Mietvertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn diese vorher von der beabsichtigten Veräußerung gewusst hätte.

Vorliegend war "die Verletzung der Aufklärungspflicht für den Entschluss der Vermieterin, den Mietvertrag abzuschließen ursächlich".

Eine Anfechtung des Vertrages infolge Vollzugsetzung ist nicht ausgeschlossen. Wie der Senat in einem früheren Urteil bereits entschied, ist "eine auf Abschluss eines Mietvertrages gerichtete Willenserklärung kann auch nach Überlassung der Mietsache wegen arglistiger Täuschung angefochten werden."

BGH vom 11.08.2010, Az. XII ZR 192/08


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