Zerrüttetes Vertrauensverhältnis als außerordentlicher Kündigungsgrund?
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(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof entschied kürzlich über die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage.
Die Klägerin mietete von der Beklagten mit Vertrag vom 30. Oktober 2006 Gewerberäume zum Betrieb eines „Wellness- und Seminarhauses“ auf die Dauer von zwei Jahren. Mit der Begründung, die Beklagte habe seit Beginn des Mietverhältnisses durch verschiedene Handlungen, vor allem durch herabsetzende Äußerungen, versucht, die Ausübung ihres Gewerbes zu stören, kündigte die Klägerin den Mietvertrag außerordentlich zum 30. April 2007.
Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage den Ersatz von kündigungsbedingten Kosten und Aufwendungen sowie die Freigabe der Kaution. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Anträge weiter.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Ausführungen des Oberlandesgerichts einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jede Partei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
„Das Revisionsgericht kann regelmäßig nur überprüfen, ob das Berufungsgericht Rechtsbegriffe verkannt hat oder ob dem Tatrichter von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, er etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt oder Erfahrungssätze verletzt hat (Senatsurteil vom 21. März 2007 – XII ZR 36/05 – NJW-RR 2007, 886 Rn.16).“ Der Prüfung anhand dieses Maßstabs, so der BGH, hält das Berufungsurteil nicht stand. Das Oberlandesgericht hat zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gestellt. Damit hat es den Maßstab für die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung überspannt.
Die von der Klägerin vorgetragenen und unter Beweis gestellten Vorfälle lassen auf eine nachhaltige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien schließen. Demzufolge sind sie zumindest in ihrer Gesamtheit geeignet, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB zu begründen. Sollten sich die Behauptungen der Klägerin in einer Beweisaufnahme bestätigen, hätte ein ausreichender Grund zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses vorgelegen.
„Soweit das Oberlandesgericht den entsprechenden Vortrag der Klägerin für nicht hinreichend schlüssig gehalten und daher von der Erhebung der angebotenen Beweise abgesehen hat, rügt die Klägerin zu Recht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).“
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist die von der Klägerin erklärte außerordentliche Kündigung auch nicht bereits deshalb unwirksam, weil es an einer vorherigen Abmahnung fehlt. „Kommt – wie im vorliegenden Fall – eine außerordentliche Kündigung wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage in Betracht, bedarf die Kündigung keiner vorherigen Abmahnung.“
Somit kann das angefochtene Urteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Auf die Revision der Klägerin ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Leitsatz fasst zusammen:
„Bei einem gewerblichen Mietverhältnis kann für den Mieter ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB bestehen, wenn der Vermieter gegenüber Dritten ohne berechtigtes Interesse Behauptungen aufstellt, die geeignet sind, den Gewerbebetrieb des Mieters nachhaltig zu beeinträchtigen, und deshalb die das Schuldverhältnis tragende Vertrauensgrundlage derart zerstört ist, dass dem Mieter unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes nicht mehr zugemutet werden kann.“
BGH vom 15.09.2010, Az.: XII ZR 188/08
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