(ip/RVR) Das Verwaltungsgericht Mainz befasste sich kürzlich mit der Problematik der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen.

Der Kläger ist Eigentümer des in S. gelegenen Grundstücks H.-straße XX. Das Grundstück grenzt mit seiner südlichen Grundstücksgrenze an den P.-weg. Bereits 1900 war dieser Teil des P.-weges beidseitig bebaut und erschloss das Anwesen P.-weg X. Im Anschluss führte er als Wirtschaftsweg in den Außenbereich. Zwischen den Beteiligten ist strittig, wann der auf der Parzelle X/X befindliche Teil des P.-weges erstmalig als Erschließungsanlage hergestellt wurde.

Am 9. November 1995 trat der Bebauungsplan „P.-weg“ der Beklagten in Kraft. Das klägerische Grundstück liegt nicht im Plangebiet.

Am 17. Dezember 2008 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die endgültige erstmalige Herstellung und Widmung der Erschließungsanlage „P.-weg“ unter gleichzeitiger Bildung einer Erschließungseinheit im Geltungsbereich des Bebauungsplans „P.-weg“.

Durch Änderungsbescheid (30. März 2009) des Erschließungsbeitragsbescheides vom 5. März 2009 zog die Beklagte den Kläger zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen in Höhe von 16.829,17 Euro heran.

Mit seinem am 18. März bzw. 7. April 2009 erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor, sein Grundstück unterliege nicht der Beitragspflicht, stehe nicht zur Bebauung an und liege auch nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans „P.-weg“. Darüber hinaus habe der vordere Teil des P.-weges schon vor der Erschließung des Neubaugebietes „P.-weg“ alle Merkmale der endgültigen Herstellung aufgewiesen.

Durch Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses A.-W. vom 30. Juli 2009 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Am 21. August 2009 erhob der Kläger Klage, mit der er sich gegen seine Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen wendet.

Er trägt ergänzend vor, der aus dem Bebauungsplan „P.-weg“ ausgeklammerte Teil des P.-weges sei bereits am 30. Juni 1961 eine funktionsfähige Erschließungsanlage gewesen und habe den landesrechtlichen Anforderungen an eine gemeindliche Straße genügt.

Der Kläger beantragt, den Erschließungsbescheid der Beklagten vom 30. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses A.-W. vom 30. Juli 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Mainz entschied, dass die zulässige Klage auch in der Sache Erfolg hat.

Es führte aus, dass die Rechtsgrundlage für die erhobenen Erschließungsbeiträge die §§ 127 ff. des Baugesetzbuches (BauGB) in Verbindung mit der Satzung zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Ortsgemeinde S. vom 25. Juni 2008 ist. Gemäß diesen Vorschriften erhebt die Gemeinde Erschließungsbeiträge für die erstmalige Herstellung von Erschließungsanlagen einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und ihre Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Es ist jedoch zu beachten, dass die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach § 242 Abs. 1 BauGB ausgeschlossen ist, wenn die in Rede stehende Erschließungsanlage bereits vor dem 30. Juni 1961 endgültig hergestellt war und nach den bis zu diesem Datum geltenden Vorschriften eine Beitragspflicht nicht entstehen konnte. Dies ist vorliegend der Fall, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der östliche Teil des P.-weges vor dem 30. Juni 1961 als Ortsstraße endgültig hergestellt war. Dieser stellt, so das Verwaltungsgericht Mainz, als sogenannte „historische Straße“ erschließungsbeitragsrechtlich eine selbständige Erschließungsanlage dar.

Maßgebend dafür, ob der auf der Parzelle X/X befindliche Teil des P.-weges am 30. Juni 1961 bereits als Ortsstraße vorhanden war, ist das bis zu diesem Zeitpunkt für den Bereich der Beklagten geltende Landes- und Ortsrecht. Da ein gemeindliches Ortsrecht der Beklagten vor dem 30. Juni 1961 nicht bestand, sind insoweit die Vorschriften des bis zum Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes (LStrG) am 1. April 1963 geltenden Gesetzes „über das Straßenwesen in Hessen“ vom 15. Juli 1926 (HessStrG 1926) bzw. die Vorschriften der hessischen Bauordnung (HessBauO 1881) vom 30. April 1881 in den Blick zu nehmen. „War der östliche Teil des P.-weges nach diesen Bestimmungen eine vorhandene Ortsstraße, dann ist er auch eine bereits hergestellte Straße i.S. von § 242 Abs. 1 BauGB.“ Den vorgenannten Vorschriften lässt sich mit der gebotenen Deutlichkeit entnehmen, dass „eine Ortsstraße dann als vorhanden anzusehen ist, wenn ihr Ausbauzustand vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes den in Art. 19 Abs. 3 HessBauO 1881 genannten Anforderungen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten genügt hat und mit dem Willen der Gemeinde wegen ihres hinreichenden Ausbauzustandes dem innerörtlichen Anbau (Art. 20 Satz 2 HessBauO 1881) und öffentlichen Verkehr (Art. 19 Abs. 1 HessBauO 1881, Art. 30 Abs. 1 Satz 2 HessStrG 1926) zu dienen bestimmt war und gedient hat (vgl. OLG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Januar 2001 – 6 A 10518/00. OVG –, AS 29, 13, 17).“

Der gemeindliche Ausbauwille muss nicht durch einen einer Widmung nach § 36 LStrG entsprechenden staatlichen Willensakt zum Ausdruck kommen. Es genügt, dass der Ausbauwille der Gemeinde in irgendeiner Form erkennbar geworden ist.

Die Beweisaufnahme in Verbindung mit weiteren Indizien hat ergeben, dass der östliche, auf der Parzelle X/X befindliche Teil des P.-weges bereits am 30. Juni 1961 als zum Ausbau bestimmte öffentliche Verkehrsanlage hergestellt und dem Ausbauzustand der übrigen Ortsstraßen in S. entsprochen hat.

Mithin handelt es sich bei dem östlichen Teil des P.-weges um eine historische Straße, so dass eine Beitragspflichtigkeit des klägerischen Grundstücks zu verneinen ist.

Somit ist der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 30. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2009 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz. 1 VwGO).

Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2009 wird aufgehoben.

Verwaltungsgericht Mainz vom 27.10.2010, Az. 3 K 794/09.MZ.


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